Interview mit Jan Brenn, Geschäftsleitung Lidl Deutschland, Immobilien

Vorfahrt für die E-Mobilität im Lebensmitteleinzelhandel

Dr. Annette Nietfeld: Der Einzelhandel als Teil einer großen Konferenz zum Thema „Energiewende“. Das ist neu? Was bewegt die Schwarz Gruppe, mitzumachen?

Jan Brenn: Lidl sowie auch die gesamte Schwarz Gruppe sehen sich den Pariser Klimazielen verpflichtet. Dies haben wir auch dadurch zum Ausdruck gebracht, indem wir im August 2020 der Scienced Based Targets Initiative beigetreten sind. Die gesamte Unternehmensgruppe wird betriebsbedingte Emissionen deutlich reduzieren, entsprechend der von der Science Based Targets Initiative validierten Klimaziele. Um dieses ambitionierte Ziel zu erreichen, beabsichtigt die Schwarz Gruppe beispielsweise ab diesem Geschäftsjahr komplett auf die Nutzung von Grünstrom umzusteigen. Die Umstellung bei Lidl in Deutschland ist bereits 2020 erfolgt. Hierzu nutzen wir aktuell Herkunftsnachweise für grünen Strom aus Wasserkraft und setzen auf einen Ausbau der Eigenerzeugung. Die Energiewende hat bei Lidl also schon längst begonnen, daher freuen wir uns auch, bei der Konferenz am 3. und 4. März dabei zu sein.

Dr. Annette Nietfeld: Wie bewerten Sie den Koalitionsvertrag vor dem Hintergrund der Energiewende?

Jan Brenn: Viele Punkte im Ampel-Koalitionsvertrag bestätigen uns, dass wir bei Lidl auf dem richtigen Weg sind. Nehmen wir zum Beispiel das Solarbeschleunigungspaket: Lidl baut heute schon auf jeden Neubau eine PV-Dachanlage. Im Bestand prüfen wir einen nachträglichen Aufbau und realisieren diesen, sofern die Statik es erlaubt. Stand heute haben wir bereits knapp 80.000 kWp Photovoltaikanlagen auf unseren Dächern installiert. Bis zum Jahr 2025 wollen wir weitere 100.000 kWp zubauen und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der Klimaziele.

Ein anderer wichtiger Punkt im Zuge der Einhaltung der Klimapfade ist die Mobilitätswende und die Elektrifizierung des Straßenverkehrs. Laut Koalitionsvertrag sollen bis 2030 eine Million Ladepunkte in Deutschland geschaffen werden. Auch hier leisten wir einen Beitrag: Lidl ist in Deutschland der Einzelhändler mit einem der größten Ladeinfrastrukturnetze im Eigenbetrieb. Unser Ziel ist es, unseren Kunden ein flächendeckendes und zugleich das leistungsstärkste Ladesäulennetzwerk im Lebensmitteleinzelhandel anzubieten. Stand heute betreibt Lidl in Deutschland über 1.050 Ladepunkte. Für die Schwarz Gruppe inklusive Kaufland sind es somit insgesamt über 1.660 Ladepunkte. Und dies ist nur der Anfang: Wir werden sowohl bei Qualität als auch bei der Anzahl im kommenden Geschäftsjahr noch „nachladen“ und uns keineswegs nur auf die gesetzlichen Mindestvorgaben beschränken.

Für einen schnellen Hochlauf der Ladeinfrastruktur sind verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen wichtig, die dem Ausbau Priorität einräumen und einen wirtschaftlichen Betrieb ermöglichen.

Dr. Annette Nietfeld: Was meinen Sie genau mit der Priorisierung und dem wirtschaftlichen Betrieb von Ladeinfrastruktur?

Jan Brenn: Ein Beispiel: Derzeit verhindern Regelungen über Betriebszeiten und Lärmschutzvorgaben, dass die Parkflächen von 70 Prozent unserer Filialen nachts von E-Mobilisten genutzt werden dürfen. Dabei sind in hochverdichteten Innenstadtlagen nicht nur Parkplätze knapp, sondern auch öffentliche Ladepunkte, während unsere Stellplätze über Nacht nicht genutzt werden können. Hier gilt es, dem Ladesäulenausbau unabhängig vom Charakter des jeweiligen Baugebiets oder etwaiger Auflagen in der erteilten Baugenehmigung klar Vorfahrt einzuräumen, um bisher ungenutzte Flächenpotenziale zu heben.

Eine Priorisierung und Vereinfachung braucht es zudem bei der Netzverträglichkeitsprüfung und der Genehmigung von Veränderungen bestehender Hausanschlüsse, die durch den Aufbau von E-Ladesäulen oft erforderlich werden. Uneinheitliche und häufig nicht digitalisierte Verfahren in den Bundesländern und fehlende Rückmeldefristen für Netzbetreiber nach Antragstellung verzögern einen schnellen Ausbau und verwehren Ladesäulenbetreibern die dringend benötigte Planungssicherheit.

Für einen wirtschaftlichen Betrieb sind mehrere Aspekte von Bedeutung: Die erforderliche Drittmengenabgrenzung bei der Abgabe unseres dezentral erzeugten PV-Stroms erfordert aufwendige, eichrechtskonforme Messungen, um weiterhin Anspruch auf die verringerte EEG-Umlage für die selbstverbrauchte Energie erheben zu können. Dies bindet Ressourcen und eine Entbürokratisierung ist an dieser Stelle dringend geboten. Daher begrüßen wir die Pläne der Bundesregierung, die EEG-Umlage zeitnah abzuschaffen.

Die Wirtschaftlichkeit von Ladesäulen im Einzelhandel kann darüber hinaus durch gezielte Förderungen erhöht werden, wodurch der Ausbau attraktiver wird. Es gilt, Förderprogramme nach unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten zu differenzieren und ein für den Handel passendes Förderprogramm zu entwickeln. Förderungen von Ladesäulen werden bisher nämlich nur zu 100 Prozent zugeteilt, wenn eine 24/7-Nutzung möglich ist. Ist dies aufgrund von rechtlichen Vorschriften nicht möglich, sollte die Förderhöhe dennoch zu 100 Prozent zugestanden werden. Dies würde Besitzer von Flächen mit zeitlich begrenzter Nutzungsmöglichkeit anreizen, mehr Ladesäulen zu errichten.

Dr. Annette Nietfeld: Wie passen der Verkauf von Joghurt und Brötchen mit dem Angebot von E-Ladesäulen aus Lidl-Sicht zusammen?

Jan Brenn: Da nennen Sie einen wichtigen Punkt, indem sie auf unser originäres Geschäftsmodell verweisen – den Verkauf von Produkten des täglichen Bedarfs in hoher Qualität und zu günstigen Preisen. Für uns steht immer der Kunde im Mittelpunkt, der seinen Einkauf bei uns tätigt. Mit dem Angebot von Ladesäulen wollen wir nicht nur einen Beitrag zur Mobilitätswende leisten, sondern unseren Kunden einen Mehrwert bieten: Während des Einkaufs bei Lidl können sie ohne zeitlichen Mehraufwand bequem ihr Fahrzeug laden und nebenbei einen großen Teil des wöchentlichen Reichweitenbedarfs decken. An der Zahl der täglichen Ladevorgänge sehen wir, dass unsere Kunden dieses Angebot schätzen und verstärkt nutzen. Aktuell haben wir pro Monat über 150.000 Ladevorgänge an unseren Ladesäulen und stellen unseren Kunden dabei elektrische Energie für über 8.000.000 Kilometer emissionsfreie Mobilität pro Monat zur Verfügung.

Wir sehen unser Ladeangebot als Teil unserer Verantwortung für das Gelingen der Mobilitätswende – aber natürlich auch als Mittel zur Kundenbindung. So passt dann die Ladesäule auch zum Joghurt.

Dr. Annette Nietfeld: Werden die Lidl-Parkplätze also die E-Tankstellen der Zukunft sein?

Jan Brenn: Nein, als klassischen Tankstellen-Betreiber sehen wir uns nicht. Das würde auch nicht zu unserem Geschäftsmodell passen und dem Charakter der E-Mobilität nicht gerecht werden.

Grundsätzlich ist Laden nicht gleich Tanken. Das Charmante an E-Mobilität ist doch, dass die Ladeinfrastruktur dort errichtet werden kann, wo sich der E-Mobilist in seinem Alltagsleben ohnehin aufhält: Im Supermarkt, im Restaurant, im Fitnessstudio, etc. Er braucht dann eben nicht extra zur klassischen Tankstelle zu fahren, um das Fahrzeug zu tanken.

Die Verknüpfung von Alltagsaktivitäten, wie dem Einkaufen und dem Laden, stellt eine Win-win-Situation dar – für den E-Autonutzer und den Ladesäulenbetreiber, der sein originäres Geschäftsmodell durch ein Ladeangebot sinnvoll ergänzen kann. Dieser Aspekt ist es, der den Ausbau von Ladeinfrastruktur auch für Unternehmen attraktiv macht, deren eigentliches Geschäftsmodell ein anderes ist. Das sollte daher auch von der Politik immer bedacht werden.  

Dr. Annette Nietfeld: Die Schwarz Gruppe und andere Unternehmen werden diese und weitere Themen in der Session 5 „Infrastrukturen für die Mobilität der Zukunft“ im Rahmen der neuen Konferenz ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2022 aufgreifen und vertiefen. Besonders gut finde ich, dass darin unter anderem das Projekt BANULA, eine Kooperation u.a. von der Schwarz Gruppe mit dem Übertragungsnetzbetreiber Transnet BW vorgestellt wird. Ich bin auf diese Session sehr gespannt und danke für Ihr Engagement.

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