Interview mit Dr. Hans-Jürgen Brick (Vorsitzender der Geschäftsführung, Amprion GmbH)
17. Februar 2021
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Dr. Annette Nietfeld: Herr Dr. Brick, Sie werden anlässlich der Konferenz ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2021 die Podiumsdiskussion „Staatliche Industriepolitik vs. Soziale Marktwirtschaft – am Beispiel der Energie- und Klimaschutzpolitik“ moderieren. Als Vorsitzender der Geschäftsführung eines regulierten Unternehmens ist es besonders interessant, von Ihnen zu erfahren, wie Sie das Verhältnis von staatlicher Industriepolitik und sozialer Marktwirtschaft generell bewerten?
Dr. Hans-Jürgen Brick: Regulierung spielt gerade in der sozialen Marktwirtschaft eine wesentliche Rolle. Sie bestimmt die Rahmenbedingungen, in denen sich die Marktakteure frei verhalten und marktorientiert agieren. Die nationalen und europäischen Klimaschutzziele erfordern jetzt eine umfangreiche und schnelle Transformation des gesamten Energiesystems. Um auch in dieser Transformationsphase eine hohe Versorgungssicherheit zu gewährleisten, brauchen wir einen Rahmen, der allen Marktteilnehmern Investitionssicherheit bietet. Staatliche Industriepolitik und soziale Marktwirtschaft müssen also kein Gegensatz sein, wenn der Staat den Rahmen für eine eigenverantwortliche wirtschaftliche Betätigung bewusst setzt. Auch wenn wir ein reguliertes Unternehmen sind, so vertreten wir den Grundsatz: So viel Markt wie möglich, so wenig Regulierung wie nötig.
Dr. Annette Nietfeld: Mit Blick auf Ihre Aufgabe als Netzbetreiber: Ist der gesetzte Rahmen für Ihr Unternehmen passend?
Dr. Hans-Jürgen Brick: Investitionen in das Übertragungsnetz benötigen Zeit. Dabei reden wir nicht nur über Stromleitungen. Auch wenn wir spannungsstützende Kompensationsanlagen bauen oder eine Schaltanlage modifizieren müssen: Von der Planung über die Genehmigungsverfahren bis hin zur Realisierung vergehen manchmal viele Jahre. Daher benötigen wir als Netzbetreiber vor allem einen langfristig passenden Rechtsrahmen. Es geht primär um Grundsatzentscheidungen, nicht um Mikromanagement. Zum Beispiel beim Thema Wasserstoff: Wir brauchen hier einen allgemeingültigen Rechtsrahmen für Elektrolyseure und nicht Einzelentscheidungen für Reallabore. Die Energiewende muss vom Ziel her gestaltet werden. Wegen der langen Planungs- und Umsetzungszeiträume sollten die Ziele der Energiewende und der dazu passende Rechtsrahmen möglichst konstant bleiben. Je verlässlicher der Rechtsrahmen ist, desto effektiver können Wirtschaftsunternehmen innerhalb der entsprechenden Leitplanken handeln und ihren Beitrag zum Gelingen der Energiewende leisten. Dies gilt insbesondere für regulierte Unternehmen, die durch den Rechtsrahmen zu dem vom Gesetzgeber gewünschten Verhalten angereizt werden sollen. Gerade mit Blick auf Infrastrukturprojekte sind langfristige und stabile Anreizsignale erforderlich. Die derzeitige Praxis der kleinteiligen Regulierung und Re-Regulierung ist hier nicht zielführend. Dabei ist klar, dass die Veränderungsgeschwindigkeit derzeit ungemein hoch ist. Umso wichtiger ist darum, dass der Gesetzgeber nicht kleinteilig versucht, Schritt zu halten, sondern einen verlässlichen, stabilen Rahmen setzt.
Dr. Annette Nietfeld: In einer immer komplexer werdenden Energiewende kommt das bestehende Marktdesign an seine Grenzen. Welche Randbedingungen müsste das zukünftige Marktdesign erfüllen, damit die Energiewende gelingen kann?
Dr. Hans-Jürgen Brick: Der fundamentale Umbau des Energiesystems kann nur gelingen, wenn nicht nur die Netzinfrastruktur, sondern auch der Strommarkt konsequent darauf ausgerichtet wird. Der heutige Energy-Only-Markt wird bei der anstehenden Transformation des Energiesystems keine ausreichenden Investitionsanreize für die dringend benötigte Flexibilität auf der Erzeugungs- und Verbraucherseite setzen. Herauszuheben sind hier vor allem die Kraftwerksbetreiber, die zukünftige Investitionen in flexible steuerbare und idealerweise grundlastfähige Erzeugungstechnologien wie zum Beispiel Gaskraftwerke tätigen. Aber auch unsere Industriekunden müssen sich auf ein gesetzliches Fundament verlassen können, damit sie Umstrukturierungsmaßnahmen mit Blick auf die Klimaziele realisieren können. Wir brauchen daher ein neues Marktdesign. Dabei ist Flexibilität gefragt, um das System stabil zu halten: Wir brauchen einerseits Anlagen, die wetterunabhängig Strom erzeugen. Anderseits benötigen wir Verbraucher, die ihren Bedarf dem aktuellen Angebot an grünem Strom anpassen. Dieses Zusammenspiel von Erzeugung und Verbrauch muss perfekt austariert sein: ein Markt, der systemorientiertes Verhalten aller Marktteilnehmer fördert und frühzeitig Investitionsanreize für die dringend benötigte Flexibilität auf Erzeuger- und Verbraucherseite bietet.
Dr. Annette Nietfeld: Glauben Sie in Anbetracht dieser Herausforderungen im Bereich der Energie- und Klimaschutzpolitik an einen zukünftig starken Wirtschaftsstandort Deutschland?
Dr. Hans-Jürgen Brick: Die Energiewende ist ein gesamtgesellschaftlicher Kraftakt! Alle Akteure müssen ihren Beitrag zu ihrem Gelingen leisten. Auch wir als reguliertes Unternehmen müssen daher unsere Aufgaben erfüllen, den erforderlichen Netzausbau vorantreiben und die Sicherheit des Stromsystems gewährleisten. Ich sehe auch zukünftig einen starken Wirtschaftsstandort Deutschland, der mit der Energiewende als ein Vorbild in Europa und weltweit dasteht.
Dr. Annette Nietfeld: Diese und weitere Fragen zu diesem Komplex werden Sie im Rahmen unserer Konferenz ENERGIE.CROSS.MEDIAL u.a. mit Joachim Rumstadt, Vorsitzender der Geschäftsführung der Steag, Prof. Dr. Jörg Steinbach, Minister für Wirtschaft, Arbeit und Energie des Landes Brandenburg, und Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge, Universität zu Köln, Direktor des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln, vertiefen. Darauf bin ich sehr gespannt, vielen Dank dafür.