„Mehr Klimaschutz mit alternativen Kraft- und Brennstoffen“
11. Februar 2021
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Interview mit Prof. Christian Küchen (Hauptgeschäftsführer des Mineralölwirtschaftsverbandes MWV) und Adrian Willig (Geschäftsführer des Instituts für Wärme und Mobilität IWO)
Dr. Annette Nietfeld: Herr Professor Küchen, mit Corona und erhöhten Klimaschutz-Anforderungen geht die Ölnachfrage in Europa und Deutschland zurück. Elektromobilität ist auf dem Vormarsch. Brauchen wir 2030 noch Raffinerien?
Christian Küchen: Ein ganz klares „ja“, und das völlig unabhängig von Corona. Der Ausbau der Elektromobilität kann und muss einen wichtigen Beitrag zur Senkung der Treibhausgasemissionen leisten, das ist in unserer Branche unstrittig. Und natürlich wird, wenn das erfolgreich ist, der Kraftstoffabsatz rückläufig sein. Auch im Wärmesektor wird die Energienachfrage durch Effizienzsteigerungen kontinuierlich sinken. Aber das wird alles nicht ausreichen, die ohnehin schon sehr ambitionierten Klimaziele für die verschiedenen Sektoren zu erreichen. Wir brauchen zusätzlich Energieträger aus Raffinerien, deren CO2-Fußabdruck gegenüber heute schon deutlich reduziert ist. Und daneben wollen wir ja auch industrielle Wertschöpfungsketten in Deutschland mit hochqualifizierten Jobs halten. So bezieht die Kohlenwasserstoff-basierte chemische Industrie fast drei Viertel ihrer Rohstoffe aus Raffinerien.
Dr. Annette Nietfeld: Herr Willig, welche Rolle können flüssige Energieträger denn künftig spielen?
Adrian Willig: Gerade im Straßenverkehr und in Gebäuden spielen fossile Kraft- und Brennstoffe derzeit noch die Hauptrolle. Mineralölprodukte sind hierzulande Energieträger Nummer eins. Selbst bei deutlich geringeren Verbräuchen: Mit heimischem Wind- und Sonnenstrom allein werden wir in Deutschland künftig kaum auskommen, um all diese fossilen Energieträger zu ersetzen. Eine weitgehend klimaneutrale Gesellschaft wird hierzulande darum auf grüne Energieimporte angewiesen sein. Dafür bieten sich neben Wasserstoff alternative flüssige Kraft- und Brennstoffe an, die ohne fossiles Öl auskommen, aber ebenso einfach zu speichern und gut zu transportieren sind, wie die herkömmlichen Produkte. Infrastruktur undAnwendungstechnik dafür sind auch schon da. Hinzu kommt: Selbst wenn bis 2030 rund zehn Millionen Autos mit reinem Batterieantrieb oder als Plug-In-Hybride auf Deutschlands Straßen unterwegs sein sollten, würden dann wohl noch immer mehr als 35 Millionen Pkw mit Verbrennungsmotor fahren. Auch die sollen einen Beitrag zum Klimaschutz leisten können. Insofern brauchen wir künftig auch alternative flüssige Energieträger aus erneuerbaren Quellen – zusätzlich zur direkten Elektrifizierung.
Dr. Annette Nietfeld: Was für Energieträger können das sein?
Adrian Willig: Es geht um erneuerbare Kraft- und Brennstoffe, mit denen der fossile Anteil heutiger Energieträger nach und nach vermindert werden kann. Herstellung und Nutzung solcher Fuels beruhen auf weitgehend geschlossenen Kohlenstoffkreisläufen. Alternative Kraft- und Brennstoffe werden bereits heute mit klassischem Benzin, Diesel und Heizöl kombiniert. Für die Zukunft geht es darum, Art und Anzahl der regenerativen Quellen zu erweitern. Die entsprechenden Technologien umfassen zum Beispiel nachhaltige Biokraftstoffe, die eine Konkurrenz mit dem Nahrungsmittelanbau vermeiden. Aufgrund des absehbar großen Bedarfs werden auch synthetische Energieträger aus grünem Wasserstoff und CO2 als Kohlenstoffquelle benötigt – also Power-to-X-Produkte wie etwa E-Fuels. An optimal geeigneten Standorten können vielerorts auf der Welt Windkraft- und Photovoltaikanlagen deutlich effektiver betrieben werden als in Deutschland. Und dieser günstigere Strom lässt sich in Form von Crudes oder Kraftstoffen importieren. Der Aufbau einer solchen PtX-Wirtschaft im industriellen Maßstab braucht jedoch noch Zeit und setzt voraus, dass jetzt die richtigen Weichen dafür gestellt werden.
Dr. Annette Nietfeld: Zurück zum Raffineriesektor – wie kommt der klimafreundliche Umbau voran?
Prof. Christian Küchen: An vielen Raffinerie-Standorten sind Projekte gestartet oder auch schon erste Anlagen in Betrieb genommen worden. Damit kann die Branche dazu beitragen, Schlüsseltechnologien, die auch für andere Industrien für die Transformation zur Klimaneutralität erforderlich sind, voranzubringen. Dabei sind für unsere Branche vor allem die Produktion und die Verwendung von treibhausgasneutralem Wasserstoff wie auch der zunehmende Ersatz von Rohöl etwa durch Biomasse oder Rest- und Abfallstoffe von großer Bedeutung.
Dr. Annette Nietfeld: Gibt es vorzeigbare Beispiele für die Treibhausgasreduzierung?
Prof. Christian Küchen: Seit drei Jahren läuft eine 5-Megawatt-Elektrolyseanlage in der H&R Raffinerie in Hamburg. Die Rheinland-Raffinerie von Shell baut einen Elektrolyseur zur Herstellung von grünem, das heißt klimafreundlichem Wasserstoff mit einer Leistung von 10 Megawatt. Die Heide-Raffinerie in Schleswig-Holstein ist Kern des Projekts Westküste 100, dabei geht es um die Produktion von klimaneutralem Kerosin mit von Ökostrom aus Windenergie für den Flughafen Hamburg. Und die BP-Raffinerie Lingen im Emsland plant mit der dänischen Ørsted und weiteren Unternehmen die Produktion von und ein öffentliches Netz für grünen Wasserstoff mit einem 50-Megawatt-Elektrolyseur. Wir sind also auf einem guten Weg. Dazu kommen zahlreiche Projekte zum Einsatz von Biomasse sowie Rest- und Abfallstoffen in Raffinerien.
Dr. Annette Nietfeld: Im Flugverkehr gelten flüssige Energieträger als kaum verzichtbar. Sie sehen den Einsatz neuer Brennstoffe aber auch in Gebäuden, Herr Willig?
Adrian Willig: Damit der Markthochlauf alternativer Kraft- und Brennstoffe gelingt, sollten Produktion und Einsatz anwendungsoffen sein. So erreichen wir die bei der Herstellung notwendigen Skalierungseffekte und bringen zugleich den Klimaschutz voran. Im Wärmemarkt haben wir derzeit 5,5 Millionen Ölheizungen – ungefähr drei Millionen abseits der Gas- und Fernwärmenetze. Nicht jedes dieser Gebäude kann einfach so auf andere Technologien umgestellt werden. Die Klimaziele können jedoch Schritt für Schritt ebenso und oftmals zu geringeren Kosten ohne Systemwechsel erreicht werden. Ermöglicht wird die Verbesserung des Klimaschutzes zunächst durch Heizungsmodernisierungen mit Brennwerttechnik und Maßnahmen an der Gebäudehülle. Ein weiterer Schritt ist die direkte Einbindung erneuerbarer Energien in Form von Hybridheizungen. So lässt sich der Brennstoffbedarf eines Gebäudes bereits beträchtlich reduzieren. Für die verbliebenen Mengen könnten dann künftig alternative Brennstoffe genutzt werden. Dass das auch praktisch umsetzbar ist, zeigen etliche Modellprojekte, die das IWO mit Erfolg zum Teil bereits seit Jahren initiiert und betreut.
Dr. Annette Nietfeld: Herr Prof, Küchen, die Bundesregierung hat jüngst das Gesetz für mehr Klimaschutz im Verkehr auf den Weg gebracht, Fachleuten bekannt als Umsetzung der Europäischen Richtlinie „RED II“. Mit Blick auf die Raffinerien – ist die Branche zufrieden?
Prof. Christian Küchen: Teilweise. Insgesamt signalisiert der von der Bundesregierung beschlossene Gesetzentwurf mit der gegenüber den ersten Entwürfen deutlich angehobenen Treibhausgasminderungsverpflichtung bis 2030 für unsere Branche deutlich, dass neben der E-Mobilität auch alternative Kraftstoffe einen wichtigen Beitrag zur Zielerreichung leisten müssen. Was fehlt, ist Klarheit, wie die ambitionierten Ziele im Detail erfüllt werden können. So fehlen zum Beispiel die Kriterien für den Strombezug für Elektrolyseure zur Herstellung grünen Wasserstoffs. Ohne diese Klarheit kann eine Planung der Investitionen nicht erfolgen. Darüber hinaus werden einige Technologieoptionen wie die Mitverarbeitung von Biomasse in der Raffinerie, das sogenannte Co-Processing, oder auch die Nutzung von grünem Wasserstoff aus Biogas überhaupt nicht anerkannt. Um es sehr deutlich zu machen: Wir werden allen Technologieoptionen brauchen, wenn man die ambitionierten Ziele erreichen will. Im Gesetzgebungsverfahren muss noch dringend nachgebessert werden.
Adrian Willig: Als Ergänzung dazu: Grundsätzlich sollten erneuerbare flüssige Kraft- und Brennstoffe als Klimaschutzoption gleichberechtigt mit anderen Lösungen behandelt werden. Daher sollte zum Beispiel in der CO2-Flottenregulierung der EU Fahrzeuge, die CO2-neutrale Kraftstoffe nutzen, genauso behandelt werden wie E-Autos. Auf Bundesebene sollten Kraftstoffe künftig anhand ihrer Klimawirkung bewertet und die kraftstoffspezifischen CO2-Emissionen zur Bemessungsgrundlage bei der Besteuerung gemacht werden. Das wäre ein starker Hebel für einen Markthochlauf. Im Hinblick auf den Wärmemarkt sollten erneuerbare Fuels zudem als Erfüllungsoption in das Gebäudeenergiegesetz mit aufgenommen werden.