Interview mit Prof. Dr. Jörg Steinbach (Minister für Wirtschaft, Arbeit und Energie des Landes Brandenburg)
1. März 2021
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Dr. Annette Nietfeld: Herr Minister Steinbach, Sie werden anlässlich der Konferenz ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2021 an der Podiumsdiskussion „Staatliche Industriepolitik vs. Soziale Marktwirtschaft – am Beispiel der Energie- und Klimaschutzpolitik“ teilnehmen. Als Minister für Wirtschaft, Arbeit und Energie des Landes Brandenburg sind Sie tagtäglich intensiv innerhalb dieses Spannungsfeldes engagiert. Das politisch beschlossene Aus für die Kohleverstromung stellt einen massiven Eingriff in das Wirtschaftsgeschehen und auch in das Eigentumsrecht dar. Gleichzeitig sind Sie dafür bekannt, dass Sie Entrepreneurship zu Deutsch „Unternehmergeist“ von den Vertretern der Wirtschaft in Brandenburg und darüber hinaus erwarten. Wie reagieren die Unternehmensvertreter auf diese Situation, dass einerseits in ihre Rechte eingegriffen wird und sie gleichzeitig unternehmerisches Risiko eingehen sollen? Haben die noch Vertrauen in die Zusagen der Politik?
Minister Prof Dr.-Ing. Jörg Steinbach: Das Erreichen des Klimaziels einer Minderung der Treibhausgasemissionen von mindestens 55 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 bis 2030 wurde gesetzlich festgeschrieben. Dieses Ziel ist mittlerweile gesamtgesellschaftlicher Konsens. Für einen solchen beispiellosen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kraftakt ist eine Koordination und Steuerung von Seiten des Gesetzgebers unerlässlich, besonders betroffen sind an dieser Stelle natürlich die Energieunternehmen. Der Ausstieg aus der Kohleverstromung wurde durch die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ – kurz WSB-Kommission – vorbereitet, an der alle gesellschaftlich beteiligten Akteure – nicht zuletzt die Vertreter der Unternehmerseite selbst – teilgenommen haben. Das Ergebnis dieses langen Ringens war der Kohlekompromiss von Ende Januar 2019, der durch die Bundesregierung in Form des Kohleausstiegsgesetzes umgesetzt wurde. Weitsichtiges unternehmerisches Denken und damit echte „Entrepreneurship“ heißt immer Entwicklungen vorauszusehen und die eigenen Unternehmensaktivitäten zukunftssicher zu gestalten. Die Braunkohleunternehmen werden für den Eingriff in ihre Eigentumsrechte in voraussichtlich angemessener Weise entschädigt werden, es ist nun an ihnen diese Chance zu nutzen und ihr Unternehmen neu und zukunftssicher aufzustellen.
Dr. Annette Nietfeld: Welche Möglichkeiten sehen Sie seitens der Politik Entrepreneurship zu befördern? Gibt es z. B. Möglichkeiten Planungs- und Genehmigungsverfahren zu straffen und zu beschleunigen? Wie aktiv verteidigt die Politik außerdem Unternehmensinteressen?
Minister Prof. Dr.-Ing. Jörg Steinbach: Aufgabe der Politik ist es, die Rahmenbedingungen für Ansiedlungen, zukunftsfähige Investitionen und unternehmerische Innovation zu verbessern. Und das ist uns augenscheinlich in den letzten Jahren ganz gut gelungen. Ich verweise insbesondere auf Tesla, die BASF-Kathodenfabrik, sowie das Unternehmen Microvast in Ludwigsfelde.
Die sichere, bezahlbare, aber auch die umweltverträgliche, sprich „grüne“, Energieversorgung ist ein wichtiger Standortfaktor. Auch wenn Brandenburg diesbezüglich schon gut dasteht, müssen wir beim Ausbau der Erneuerbaren Energien wie auch beim Netzausbau unbedingt an Tempo zulegen.
Das zugehörige Planungs- und Genehmigungsrecht wird zum Großteil auf Bundesebene gestaltet. Wir unterstützen deshalb die Bestrebungen, die Verfahren wo möglich zu straffen, sei es durch die Digitalisierung einzelner Verfahrensschritte auch über die Pandemielage hinaus – ich verweise hier auf das Planungssicherstellungsgesetz – oder die erstinstanzliche Neuregelung und den Sofortvollzug von Genehmigungen im Bereich der Windenergieanlagen im Investitionsbeschleunigungsgesetz. Gleichzeitig müssen wir das erforderliche Maß an Transparenz und Beteiligung weiterhin gewährleisten.
Aber auch die angemessene Ressourcenausstattung der Genehmigungsbehörden, sprich Personal und Technik, ist ein wesentlicher Baustein, bei dem ich durchaus noch Potenzial sehe und an dem wir arbeiten.
Als Wirtschaftsministerium ist es selbstverständlich unsere ureigene Aufgabe, die wirtschaftliche Entwicklung im Land zu befördern und für attraktive Voraussetzungen für Investitionen zu sorgen. Das heißt aber nicht, dass wir die Unternehmen uneingeschränkt gegen Kritik von außen verteidigen. Vielmehr sehen wir unsere Aufgabe darin, die Verfahren und Prozesse konstruktiv zu begleiten und wo nötig den Interessenausgleich zu unterstützen.
Dr. Annette Nietfeld: Soviel die Unternehmen betreffend. Wie ist entsprechend Ihres Eindrucks die Stimmung diesbezüglich in der Bevölkerung? Findet die Mehrzahl der Brandenburger die massiven Eingriffe des Staates in das Wirtschaftsgeschehen und auch die Eigentumsrechte der Unternehmen richtig oder eher nicht richtig?
Minister Prof. Dr.-Ing. Jörg Steinbach: Die Mehrzahl der Bevölkerung Brandenburgs – das zeigt die Erfahrung – steht zwingenden Notwendigkeiten aufgeschlossen gegenüber und unterstützt dementsprechende unvermeidliche Veränderungen. Wie ich bereits ausgeführt habe, handelt es sich beim Kohleausstieg nicht um einen willkürlichen Eingriff des Staats in die Eigentumsrechte von Unternehmen und in das Wirtschaftsgeschehen, sondern um Steuerungs- und Ausgleichsmaßnahmen im Ergebnis eines gesamtgesellschaftlichen Prozesses.
Dr. Annette Nietfeld: Was glauben Sie, bis zu welchem Grad sind die Brandenburger bereit, sich vom Staat auch in die eigene Tasche greifen zu lassen? Immer wieder diskutierte Fahrverbote z. B. von Verbrennermotoren oder die Bepreisung von C02 – Emissionen im Zuge des Heizens von Räumen ist ja nichts anderes als eine staatlich beschlossene Vernichtung privaten Eigentums.
Minister Prof. Dr.-Ing. Jörg Steinbach: Wie gesagt, die Brandenburgerinnen und Brandenburger sind im Rahmen der Energiewende und des Klimaschutzes durchaus bereit, Verantwortung zu übernehmen. Sie müssen nur den Eindruck haben, dass die Lasten auch gerecht verteilt werden. Nehmen wir die von Ihnen angesprochen CO2-Bepreisung im Wärmebereich, die seit 1. Januar in Kraft ist. Die Mehrbelastung kann zzt. vollständig auf die Mietenden umgelegt werden. Wir setzen uns dafür ein, dass die Abwälzung der CO2-Abgabe auf die Mieterinnen und Mieter auf maximal 50 % begrenzt wird, so dass der Rest bei der Vermieterseite verbleibt. Das ist gerecht, denn nur die hat die Möglichkeit, eine effizientere Heizung einzubauen. Von einem Verbot von Verbrennungsmotoren halte ich allerdings nichts. Wir müssen vielmehr die Rahmenbedingungen so gestalten, dass sich der Anteil der mit sauberer Elektrizität betriebenen PKW möglichst schnell immer weiter erhöht.
Dr. Annette Nietfeld: Im Zuge der Energiewende sind wir jetzt an einem Punkt angekommen, an dem alles auf den Kopf gestellt wird. Zwar ist die Frage des Energiemix nun dahingehend beantwortet, dass es zukünftig nur noch erneuerbare Energien geben soll. Alles andere ist jedoch offen, Wer wann wieviel Strom und Wärme produziert, wer diese Güter wie verteilt, wer für die Versorgungssicherheit zuständig ist und wer wie damit wieviel Geld verdient – all dies ist im Fluss. Wie das Energieversorgungssystem zukünftig gestaltet sein wird, ist offen. In dieser Situation stehen sich zwei Ansätze gegenüber. Sie lauten dezentral vs. zentral. Welchen Ansatz befürworten Sie?
Minister Prof. Dr.-Ing. Jörg Steinbach: Sich auf eine Variante festzulegen ist aus meiner Sicht nicht der richtige Ansatz. In Zukunft werden beide Varianten auch weiterhin bestehen. Mit den vielen einzelnen PV-Anlagen auf den Dächern vieler Ein- und Mehrfamilienhäuser wird Energie vor Ort erzeugt und auch in unmittelbarer Nähe verbraucht. Auch kleinere Wind- und Solarparks tragen hierzu bei, der dezentralen Energieversorgung nachzukommen. Gleichzeitig werden aber über die großen Wind- und Solarparks die Energiemengen zentral erzeugt, die über das Hochspannungsnetz in die Regionen transportiert werden, in denen die dezentrale Versorgung nicht ausreicht, um den Bedarf zu decken. Die Energiewende kann nur gelingen, wenn man gemeinsam, die Energieversorgung aus erneuerbaren Energien sicherstellt. Das ist nicht nur auf die Bundesrepublik begrenzt, sondern umfasst in Zukunft den gesamten Raum der Europäischen Union.
Dr. Annette Nietfeld: Glauben Sie in Anbetracht dieser Herausforderungen im Bereich der Energie- und Klimaschutzpolitik an einen zukünftig starken Wirtschaftsstandort Deutschland?
Minister Prof. Dr.-Ing. Jörg Steinbach: Daran habe ich keinen Zweifel. Auch wenn die Energiewende zu Veränderungen in den vielen Prozessen der Industrie und Wirtschaft führt, so kam es doch sehr früh zu einem Umdenken bei den Akteuren um entsprechende Lösungsansätze zu finden und diese auch umzusetzen. Jede Veränderung bietet auch Chancen für etwas Neues. Mit Blick auf Brandenburg haben wir damit auch schon frühzeitig begonnen, den Prozess des Wandels anzugehen. In der Lausitz geht der Strukturwandel stetig voran. In der Vergangenheit wurde die Wirtschaft in dieser Region von der Braunkohle beherrscht, in Zukunft werden die Expertisen und Strukturen in dieser Region genutzt, um regenerative Energien zu fördern und deren Wertschöpfungsketten zu stärken. Hinzu kommt die Neuentwicklung von Technologien, die auch eine Chance von Ansiedlungen an deutschen Standorten bieten. Bestes Beispiel ist wie bereits erwähnt die Ansiedlung der Giga-Factory von Tesla. Brandenburg als Standort hat sich gegen viele Mitbewerber auch dem internationalen Raum durchgesetzt. Das zeigt doch, das auch in Zukunft Brandenburg und Deutschland attraktiv genug bleiben, um der Wirtschaft einen Standort zu bieten.
Dr. Annette Nietfeld: Diese und weitere Fragen zu diesem Komplex werden Sie im Rahmen unserer Konferenz ENERGIE.CROSS.MEDIAL u.a. mit Joachim Rumstadt, Vorsitzender der Geschäftsführung der Steag, Prof. Dr. Marc Oliver Bettzüge, Universität zu Köln, Direktor des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln, Marie-Luise Dött, MdB, CDU/CSU und Staatssekretär Andras Feicht, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie unter der Moderation unseres Vorstandsvorsitzenden Dr. Brick vertiefen. Darauf bin ich sehr gespannt, vielen Dank dafür.