Interview mit Tim Meyerjürgens

Zur Vorbereitung der Konferenz ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2024 sprach Johann Terres mit Tim Meyerjürgens, Member Executive Board / COO bei der TenneT TSO GmbH. Herr Meyerjürgens wird bei ENERGIE.CROSS.MEDIAL zur Infrastrukturtransformation das „Klimaneutralitätsnetz“ vorstellen.

Johann Terres: Im Rahmen der ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2024 werden Sie zum „Klimaneutralitätsnetz“ sprechen. Bitte lassen Sie uns wissen, was genau Sie darunter verstehen.

Tim Meyerjürgens: Im Jahr 2045 will Deutschland klimaneutral sein. Strom spielt dabei die zentrale Rolle, da die Dekarbonisierung der Sektoren Industrie, Verkehr und Gebäude überwiegend durch direkte oder indirekte Elektrifizierung erfolgen soll. Das Klimaneutralitätsnetz bildet dabei das Rückgrat unserer zukünftigen Energieversorgung – eine Stromnetzinfrastruktur, die die vollständige Umstellung der Erzeugung auf Erneuerbare Energien erlaubt und gleichzeitig Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit sicherstellt.

Auf dem Weg zur Erreichung der Klimaneutralität gibt es im Übertragungsnetz noch einiges zu tun. Was genau wir tun müssen, um fit für 2045 zu sein, zeigt der aktuelle Netzentwicklungsplan: Der NEP 2037/45 beschreibt erstmalig ein Stromnetz, mit dem Klimaneutralität bis 2045 erzielt werden kann. Darin zeichnen wir zusammen mit den drei anderen Übertragungsnetzbetreibern in Deutschland ein Bild der Zukunft bzw. identifizieren Maßnahmen, die notwendig sind, um das Klimaneutralitätsnetz zu realisieren. Klar ist dabei: Mit Optimierungs- und Verstärkungsmaßnahmen allein wird das Netz nicht stark genug für die Anforderungen werden. Wir brauchen also einen flächendeckenden Stromnetzausbau an See und an Land in Deutschland, um die grüne Energie dorthin zu bringen, wo sie benötigt wird.

Die notwendigen Netzausbauprojekte lassen sich jedoch nicht von heute auf morgen realisieren. Als ÜNB sind wir hier auf passende politische Rahmenbedingungen sowie beschleunigte Genehmigungsverfahren angewiesen – der Gesetzgeber hat hier kürzlich wichtige Weichenstellungen getroffen. Der Ausbau der Strominfrastruktur, um die Klimaziele zu erreichen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. TenneT ist bestrebt, eine führende Rolle bei der Entwicklung und Umsetzung eines Klimaneutralitätsnetzes einzunehmen. Wir arbeiten eng mit unseren Partnern zusammen, um die notwendigen Schritte zu unternehmen und die Vision einer nachhaltigen und kohlenstofffreien Energieversorgung Wirklichkeit werden zu lassen.

Johann Terres: Innerhalb welches zeitlichen Rahmens kann ein solches Netz verwirklicht werden und wie gut sind Ihre Partner, ohne die solch ein Netz nicht zu realisieren ist, dafür gerüstet?

Tim Meyerjürgens: Unsere Berechnungen haben gezeigt, dass das Klimaneutralitätsnetz 2045 zu großen Teilen bereits im Jahr 2037 benötigt wird. Dies lässt sich maßgeblich an den ehrgeizigen politischen Zielen im Bereich der erneuerbaren Energien ablesen. Somit ist auch weiterhin ein hohes Tempo beim Netzausbau – an Land und auf See – erforderlich. Um dieses Ziel zu erreichen, sind höhere Kapazitäten und die Standardisierung technologischer Komponenten entscheidend. TenneT hat diese Herausforderung angenommen und setzt sie aktiv um. Allerdings sind fragile Lieferketten, unzureichende Produktionskapazitäten und stark gestiegene Materialkosten auf dem Weltmarkt zu einer Hürde für eine zeitnahe und kosteneffiziente Umsetzung geworden. Diese Herausforderungen erfordern ein gemeinschaftliches Handeln aller Partner.

Als einer der führenden Übertragungsnetzbetreiber in Europa geht TenneT diese Herausforderungen an: Im Offshore-Bereich setzen wir auf Kooperation und Standardisierung auf technologischer, vertraglicher und administrativer Ebene. Bisher haben wir in der Regel jedes unserer Systeme einzeln ausgeschrieben und vergeben. Für unseren neuen 2-GW-Standard schließen wir fortan mit gleich mehreren Partnern Rahmenvereinbarungen über definierte technische Komponenten und Assets mehrerer Systeme, zum Beispiel für unsere Kabel oder Konverterstationen. Eine Vergabe für eine Vielzahl von Systemen. Mit einem Gesamtvolumen von rund 40 Milliarden Euro für die ersten definierten Systeme dieser Art haben wir im vergangenen Jahr für alle Beteiligten Wachstumschancen und maximale Planungssicherheit geschaffen. Wir stimulieren den gesamten Markt und setzen Anreize für weitere Investitionen. Die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen sowie die Ansiedlung neuer Industrien in der Nähe unserer Anlagen sind weitere Vorteile dieses Vorgehens. Damit setzen wir wichtige Impulse, damit der Netzausbau auf See sicher, nachhaltig und kosteneffizient umgesetzt werden kann.

Und auch der Netzausbau an Land muss mit dem raschen Zubau erneuerbarer Energien und der zunehmenden Elektrifizierung in allen Bereichen Schritt halten, damit das Klimaneutralitätsnetz 2045 Wirklichkeit werden kann. Mit der jüngst vom Bundestag verabschiedeten Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes haben wir wichtige Beschleunigungselemente für den Stromnetzausbau an die Hand bekommen, um zukünftig schneller als bisher voranzukommen. Gemeinsam mit unseren Partnern 50Hertz und TransnetBW nutzen wir dieses Beschleunigungspotential und bündeln in der Kooperation StromNetzDC die vorhandenen Erfahrungen und Kapazitäten im Netzausbau. In enger Zusammenarbeit realisieren wir vier neue Gleichstromkorridore, die das deutsche Übertragungsnetz bereit machen für eine klimaneutrale und sichere Energieversorgung.

Johann Terres: Gibt es so etwas wie einen Masterplan, mittels dessen die Realisierung gesteuert wird?

Tim Meyerjürgens: Die Systementwicklungsstrategie der Bundesregierung ist so etwas wie der Masterplan für die Weiterentwicklung der Energienetze im Kontext der Energiewende. Sie legt grundlegende Parameter für die Planung der Strom-, Gas- und Wasserstoffnetze gleichermaßen fest. Diese Strategie ist entscheidend, um die Sektorenkopplung zwischen Strom, Gas und Wasserstoff voranzutreiben. Sie schafft eine gemeinsame Ausrichtung für die Netzausbauplanung, indem sie die Grundlage für eine koordinierte Entwicklung dieser Netze bildet.

Für unsere Planung der Übertragungsnetze bedeutet dies eine integrierte Herangehensweise, bei der die Synergien zwischen Strom-, Gas- und Wasserstoffnetzen genutzt werden. Beispiele hierfür sind Umfang und Verortung der Elektrolyseure sowie der Kraftwerke, die Erdgas und später Wasserstoff als Brennstoff nutzen. Letztlich ist die Systementwicklungsstrategie ein zentraler Leitfaden, um die Netze effizient und zielgerichtet auf eine klimaneutrale Zukunft auszurichten. Aus Netzbetreiber-Sicht kommt noch das wichtige Thema der zentralen vs. dezentralen Flexibilitäten hinzu. Um die Energienetze schnell und möglichst kosteneffizient fit für das klimaneutrale Energiesystem zu machen, bedarf es einer engen Zusammenarbeit aller Beteiligten. Dies umfasst Investitionen in die Infrastruktur, die Förderung von Forschung und Innovation für neue Technologien sowie die Schaffung regulatorischer Rahmenbedingungen, die den Wandel unterstützen.

Johann Terres: Wie viel Geld wird das „Klimaneutralitätsnetz“ kosten und woher sollen die Mittel kommen?

Tim Meyerjürgens: Für den Stromnetzausbau auf Übertragungsnetz-Ebene müssen einschließlich der bereits bekannten Projekte wie z.B. SuedLink und SuedOstLink bis 2045 über 300 Mrd. € in den Ausbau on- und offshore investiert werden. Diese Investitionen werden über die Übertragungsnetzentgelte refinanziert.

Dieser Betrag stellt uns sowohl auf Seite der Kapitalbeschaffung als auch bei der Refinanzierung vor Herausforderungen. Rund 40% dieser Investitionen müssen wir als Eigenkapital aufbringen. Dafür fordern Investoren von uns eine international wettbewerbsfähige Verzinsung. Da wir uns als Übertragungsnetzbetreiber in einem regulierten Umfeld befinden, legt die Bundesnetzagentur diesen Zinssatz anhand von historischen nationalen Daten fest. Leider ist diese ausschließlich vergangenheitsbezogene und zum Teil sehr langfristige Betrachtung problematisch. Sie bildet die Zinswende der jüngeren Vergangenheit unzureichend ab und bezieht auch internationale Vergleichsdaten nicht ein. Im internationalen Vergleich landet Deutschland mittlerweile abgeschlagen auf einem der letzten Plätze bei der Eigenkapitalrendite für die Netzinfrastruktur. Damit wird es zunehmend schwerer, Investoren auf den Kapitalmärkten zu überzeugen. Wir haben dieses Problem gegenüber der Bundesnetzagentur adressiert und hoffen, dass diese hier ihre Verantwortung wahrnimmt, damit das Klimaneutralitätsnetz rechtzeitig Realität werden kann.

Gleichzeitig müssen wir diese wertschöpfenden Investitionen refinanzieren und auf die Stromkunden umlegen. Das wird sich natürlich zukünftig in den Netzentgelten widerspiegeln. Auf der anderen Seite zeigen die hohen Engpasskosten – also die Kosten eines nicht vorhandenen Netzes – aktuell, dass der Netzausbau in Deutschland zwingend notwendig ist. Allein im Jahr 2022 lagen die Kosten für das Engpassmanagement auf der Übertragungsnetz-Ebene bei über 4 Milliarden Euro. Diese Kosten sind unmittelbar von den Netzkunden zu tragen und werden sich nur mit neuen Netzen verringern. Um die Stromkunden langfristig zu entlasten, müssen wir den Netzausbau zügig und möglichst günstig vorantreiben.

Johann Terres: Vielen Dank für Ihre Ausführungen zum „Klimaneutralitätsnetz“. Ich freue mich auf Ihren Vortrag im Rahmen der Themensession 2 zur Transformation der Infrastrukturen und bin sehr gespannt, welche Entwicklungen es diesem Kontext noch geben wird.

Autor

Johann Terres

FSJ-Politik
+49 30 / 72 61 59 98 – 6
terres@zukunftsenergien.de

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