Interview mit Dr. Martin Wansleben

Zur Vorbereitung der ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2024 sprach Johann Terres vom Forum für Zukunftsenergien mit Dr. Martin Wansleben, dem Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handleskammer.

Johann Terres: Herr Wansleben, auf der ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2024 werden Sie einen Vortrag zur europäischen Energie- und Wirtschaftspolitik halten. Wie sieht Ihre zusammenfassende Bilanz aus, wenn Sie auf die Energiepolitik der EU-Kommission in den vergangenen vier Jahren schauen?

Dr. Martin Wansleben: Die Energiepolitik der EU-Kommission war in den vergangenen vier Jahren von dem Bestreben geprägt, den „Green Deal“ voranzutreiben. Erschwert wurde das durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der die EU in eine ihrer größten Energiekrisen gestürzt hat. Vor diesem Hintergrund ziehe ich als Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) unterm Strich eine gemischte Bilanz.  Positiv zu bewerten ist der Ansatz, die Energiewende und den Klimaschutz zu priorisieren und den europäischen Energiebinnenmarkt zu stärken.  Die Umsetzung dieser Politik hat jedoch auch Herausforderungen für die Wirtschaft mit sich gebracht: Zu viele gerade auch kleinere Unternehmen kämpfen mit den bürokratischen und finanziellen Belastungen bei der Umstellung ihrer Produktionsprozesse. Die EU-Kommission muss darauf achten, dass die Kosten der Transformation nicht ausschließlich die Unternehmen tragen. Wichtig sind einfache und klare Anreizsysteme, die den Betrieben die notwendigen Informationen geben, gleichzeitig aber die Ressourcen der Unternehmen nicht überfordern. Wir hätten uns gewünscht, dass das an sich gute ETS-System stärker im Mittelpunkt steht.

Johann Terres: Die Politik war von dem Stichwort „Green Deal“ geprägt. Kann Ihrer Meinung nach von einem Deal mit der Wirtschaft rückblickend gesprochen werden?

Dr. Martin Wansleben: In weiten Teilen hat der „Green Deal“ seine Zielgruppe verloren: Zu kompliziert, zu teuer, im internationalen Wettbewerb nicht durchhaltbar. Der Deal funktioniert nur, wenn wir die europäischen Ambitionen im Vergleich zu anderen internationalen Wettbewerbern sehen und keine Nachteile für Unternehmen am Standort Europa entstehen. Der Status Quo ist aber ein anderer: Der Abstand zwischen den Klimaschutzkosten der EU und dem Rest der Welt wird immer größer. Wir müssen aufpassen, dass sich Wertschöpfung nicht ins Ausland verlagert, wo weniger strikte Regeln gelten („Carbon Leakage“). Dem Klimaschutz wäre damit nicht geholfen – im Gegenteil. Die Weiterentwicklung der europäischen Klimapolitik muss daher auch die künftige Wertschöpfung in der EU sichern. Schließlich ist die Transformation nur mit Wachstum und Wohlstand zu finanzieren.

Johann Terres: Welche sind die zentralen Herausforderungen unserer Energie- und Wirtschaftspolitik in den kommenden Jahren?

Dr. Martin Wansleben: Zuverlässige Energieversorgung. International wettbewerbsfähige Energiekosten. Einfachere Gesetze. Wichtig für die Wirtschaft sind klare Leitlinien und praktikable Instrumente, um die gesteckten Ziele zu erreichen. Das bedeutet vor allem weniger Bürokratie und mehr Vertrauen in die Marktwirtschaft wie beispielsweise in das Europäische Emissionshandelssystem. Innovationen entstehen schließlich vor allem dann, wenn Unternehmen kreativ werden dürfen. 

Johann Terres: Welche Erwartungen haben Sie an die Politik der neuen Kommission?

Dr. Martin Wansleben: Europa benötigt dringende eine Art Reset: Keep it simple and stupid (kiss). Klingt einfach. Ist es aber zugegebenermaßen nicht. Wenige klare Regeln. Ein starkes ETS-System und, um ein aktuelles Thema aufzugreifen, einen wirklich starken und von Kommission, Rat und Parlament ernst genommenen KMU-Beauftragten. Wir erwarten von der neuen Kommission eine ausgewogene und praxisorientierte Politik, die die Belange der Wirtschaft ernst nimmt. Wir appellieren daher an die neue Kommission, den Dialog mit der Wirtschaft zu intensivieren und gemeinsam tragfähige Lösungen zu entwickeln. Nur durch eine enge Zusammenarbeit können wir die Herausforderungen bewältigen und gleichzeitig eine nachhaltige und wettbewerbsfähige Wirtschaft gewährleisten.

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