ENERGIE.CROSS.MEDIAL 2023. Ein Resümee

Die diesjährige Ausgabe von ENERGIE.CROSS.MEDIAL liegt hinter uns – die aufgeworfenen Fragen und Themenschwerpunkte rund um „Die Zeitenwende in der europäischen und nationalen Energie- und Klimaschutzpolitik“ aber begleiten uns auch weiterhin. Mit rund 250 Referenten und Gästen aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Umweltverbänden wurde am 28. Februar und 1. März 2023 diskutiert. Erstmals seit seiner Auftaktveranstaltung im Jahre 2020 hat sich der Fokus von ENERGIE.CROSS.MEDIAL als Forum der Energiewende verlagert. Der Anspruch, allen von der Energiewende betroffenen Branchen ein Angebot zum Dialog zu unterbreiten, erhielt einerseits eine besondere Brisanz und Aktualität, wurde jedoch andererseits um die Zeitenwende und deren massive politische, wirtschaftliche und soziale Implikationen erweitert.

Die Zeitenwende – Eine politische, wirtschaftliche und soziale Zäsur

Nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine haben Deutschland und Europa die schwerste Energiekrise seit dem 2. Weltkrieg erlebt. Die vergangenen zwölf Monate waren davon geprägt, den Lieferausfall russischen Gases im Eiltempo zu kompensieren und die Versorgungssicherheit des Industrie- und Wirtschaftsstandortes Deutschland zu gewährleisten. Angetrieben von der Sorge vor einer akuten Gas- und Strommangellage hatte die Emanzipation von russischen Primärenergieträgern zur Folge, dass Deutschland auf den Weltmärkten Gas zu schwindelerregend hohen Preisen erstanden und damit indirekt selbst zur Verknappung und den Preisexplosionen beigetragen hat. Die Sorge vor dem nahenden Winter hatte auf europäischer wie nationaler Ebene nicht nur Notfallpläne und staatliche Interventionen zur Gasbeschaffung bisher unbekannten Ausmaßes hervorgebracht. Der drohende wirtschaftliche Ruin von Uniper, Gazprom Germania u.a. hat den Bund durch deren Rettung vor der Insolvenz und die vollständige Verstaatlichung auch zum energiewirtschaftlichen Akteur werden lassen, der die Privatwirtschaft im Wettbewerb auszustechen droht. Um die unkalkulierbaren wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen der Energie(preis)krise abzufangen, hat sich die Politik national wie auf europäischer Ebene massiver Eingriffe in den liberalisierten Gas- und Strommarkt bedient. Um die hohen Preise für Privathaushalte und die Industrie zu „deckeln“, werden seit Anfang dieses Jahres eine politisch definierte Obergrenze überschreitende „Zufallserlöse“ in der Energieerzeugung – ausgelöst durch Preisspitzen als Knappheitssignale – abgeschöpft und die installierten Preisbremsen damit gegenfinanziert.

In der öffentlichen Debatte wurden währenddessen alte Gewissheiten ins Gegenteil verkehrt und längst getroffene Entscheidungen revidiert – so wurden nicht nur alte Kohlekraftwerke wieder in Betrieb genommen und LNG-Terminals in für deutsche Verhältnisse bislang einzigartiger Geschwindigkeit in Betrieb genommen, auch der längst beschlossene Ausstieg aus der Kernenergie wurde offen hinterfragt und kritisiert. Die neu aufgeflammten Debatten über CCS, blauen Wasserstoff, heimische Schiefergasproduktion sowie die heimische Erdgasförderung scheinen noch nicht endgültig ausgefochten.

Tag 1

Inwiefern die Wettbewerbsordnung durch die massiven Markteingriffe unterwandert, ob notwendige Investitionen in die Energiewende dadurch womöglich gefährdet und ob das Ende des europäischen liberalisierten Gas- und Strombinnenmarktes damit eingeleitet ist, wurden zu Leitfragen der Konferenz und im Eröffnungsplenum durch Keynotes von Stefan Wenzel, MdB (Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz) und Prof. Dr. Jürgen Kühling (Vorsitzender der Monopolkommission) aufgegriffen. Dr. Harald Schwager (Mitglied und stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes, Evonik Industries AG) lenkte den Blick auf die Gefährdung der Wettbewerbsfähigkeit energieintensiver Industrien.

In parallelen Themensessions wurden anschließend die Transformation der kommunalen Energiewelt und die neue Nationale Wasserstoffstrategie diskutiert. Während von Siemens, vertreten durch Christiane Mann (Vice President Industry Affairs, Siemens Smart Infrastructure), Benjamin Melcher (Head of Development and Projects, Siemensstadt Square), Dr. Georg Pammer (Geschäftsführer, Aspern Smart City Research) und Oliver Kraft (Executive Vice President Sustainable Communities, Siemens Smart Infrastructure) anhand dreier Smart-City-Projekte dargelegt wurde, wie der Wärme- und Mobilitätssektor, die Digitalisierung und die Nutzung erneuerbarer Energien künftig Hand in Hand gehen, um die Energieeffizienz voranzutreiben und die Energiewelt zu transformieren, stellte zeitgleich der Innovationsbeauftragte „Grüner Wasserstoff“ im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Till Mansmann, MdB (FDP), die neue Nationale Wasserstoffstrategie vor. Diese nahm Prof. Dr. Christian Küchen (Hauptgeschäftsführer, Wirtschaftsverband Fuels und Energie e.V en2x) zum Anlass, bessere Investitionsbedingungen für grünen Wasserstoff und im PtX-Verfahren hergestellte Brenn- und Kraftstoffe zu fordern und mit Fabian Gramling, MdB (CDU/CSU), Dr. Kirsten Westphal (Vorstandsmitglied, H2 Global und Mitglied des nationalen Wasserstoffrats), Enno Harks (Director External Affairs & Communications DACH, Leiter Hauptstadtbüro, BP Europa SE) und Kurt Christoph von Knobelsdorff (CEO und Sprecher der NOW GmbH) darüber zu diskutieren, wie der Markthochlauf von Wasserstoff endlich gelingen kann.

Es folgten zwei weitere parallele Themensessions. Der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V präsentierte die serielle Sanierung im Gebäudebestand als Baustein der Wärmewende. Seine Hauptgeschäftsführerin Ingeborg Esser stellte anhand der Pilotprojekte dreier Mitgliedsunternehmen – Ecoworks, Renowate und B&O – vor, wie sich mithilfe der industriellen Vorfertigung von Dämmungsprodukten und Elementen für Fassade, Dach und Anlagentechnik die energetische Sanierung im Bestand kosten- und zeiteffizient durchführen und der Energieverbrauch und die Emissionen im Gebäudesektor auf diese Art sich drastisch senken ließen. Parallel präsentierte Zukunft Gas e.V. mit Dr. Timm Kehler (Vorstand und Geschäftsführer, Zukunft Gas e.V.), Uwe Oppitz (Rhenus Geschäftsführer und Sprecher des ENERGY-HUB Port of Wilhelmshaven), Andreas Möller (VP CM&H Customer & Market Development, Wintershall Dea), Annegret-Claudine Agricola (Leiterin Public Affairs, Zukunft Gas) und Dr. Guido Bruch (Leiter der Geschäftseinheit Erneuerbare Energien, GASAG AG) Wege der Branche zu Net Zero. Die Transformation von Wilhelmshaven hin zu einem Erneuerbaren-Hub, u.a. durch die Umwidmung des Kavernenspeichers für Erdgas hin zur Nutzung durch Wasserstoff, war dabei ebenso Thema wie die Umstellung der Gasinfrastruktur auf Wasserstoff, Biogas und synthetische Kraftstoffe und die Erweiterung des künftigen, dekarbonisierten Strommarkts um einen Kapazitätsmarkt.

Im Plenum wurden die Erkenntnisse der Themensessions rund um die serielle Sanierung und der Smart City-Projekte von Axel Gedaschko (Präsident des GdW Bundesverband der deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen) aufgegriffen und mit Daniel Föst, MdB (Bau- und wohnungspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion) sowie Dr. Björn Schreinermacher (Leiter Politik, Bundesverband Wärmepumpe (BWP) e.V.) über Lösungen für die nachhaltige Stadtentwicklung und die Erreichung der Klimaziele im Gebäudesektor diskutiert.

Den Abschluss des ersten Konferenztages bildete der Themenblock Flexibilität. Darin wurden von Dr. Rainer Pflaum (Mitglied der Geschäftsführung, TransnetBW), Axel Kießling (Head of Strategy & Partnerships Digital and Flex Development, Tennet TSO), Dr. Tobias Weissbach (Leiter Nichtstandardisierte Märkte, TransnetBW) und Harald Hess (Senior Vice President Energy Networks Technology & Innovation, E.ON SE) u.a. Möglichkeiten einer Stromnetzstabilisierung durch dezentrale Flexibilitäten und deren Integration ins Stromsystem aufgegriffen. Wie Elektrofahrzeuge, stationäre Batteriespeicher oder Wärmepumpen zur Stabilisierung der Netze, etwa als Regelreserve zur Frequenzhaltung oder für Redispatch-Maßnahmen, eingesetzt werden können, wurde anschließend in einer Podiumsdiskussion von Philipp Heilmaier (Bereichsleiter Zukunft der Energieversorgung, dena), Dr. Frank Spennemann (Senior Manager Smart Charging, Mercedes-Benz AG) und Vera Brenzel (Director, TenneT TSO GmbH), eruiert. Wie Erzeugung und Verbrauch im Kontext dezentraler Flexibilität im künftigen Strommarktdesign ausbalanciert werden können, wurde in diesem Panel auch Markus Hümpfer, MdB (SPD) und Mitglied im Ausschuss für Energie und Klimaschutz, gefragt und um eine Stellungnahme gebeten.

Tag 2

Den Auftakt zum zweiten Tag bildeten Ausführungen von Christiane Canenbley (stellvertretende Kabinettschefin im Kabinett der Exekutiv-Vizepräsidentin Margrethe Vestager). Sie buchstabierte aus, wie die Europäische Kommission im Rahmen des Green Deal die Bedingungen für die Transformation hin zu einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft unter gleichzeitiger Förderung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit schaffen will. Dazu gehörten laut Canenbley anstehende Legislativvorschläge zur Erleichterung des regulatorischen Umfelds ebenso wie Vorschläge für einen besseren Zugang zu Finanzmitteln und die internationale Zusammenarbeit. Prof. Dr.- Ing. Jörg Steinbach (Minister für Wirtschaft, Arbeit und Energie des Landes Brandenburg) setzte anschließend die Folgen des Inflation Reduction Act für die europäische und deutsche Wettbewerbsfähigkeit auf die Agenda und warnte, dass Europa im Wettlauf mit den USA um wichtige Zukunftsfelder wie die Batteriezellfertigung und Wasserstoff zu unterliegen drohe.

Dieser grundlegende strukturelle Unterschied zwischen dem europäischen und dem US-amerikanischen Industrie- und Wirtschaftsstandort, dass die USA subventionieren und anreizen, wohingegen die EU v.a. reguliert und damit zwar die Wettbewerbssicherung aller Marktteilnehmer im europäischen Binnenmarkt intendiert, aber zugleich einer regelrechten Deindustrialisierung durch die Abwanderung der Investoren in außereuropäische Märkte Vorschub leistet, war ebenfalls Thema in der anschließenden Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Klaus-Dieter Borchardt (Senior Energy Advisor bei Baker & McKenzie in Brüssel), Dr. Markus Pieper, MdEP (EVP), Dr. Kay Lindemann (Senior Vice President External Affairs und Bevollmächtigter des Vorstands, Deutsche Lufthansa AG) sowie Dr. Peter Matuschek (Geschäftsführer, forsa Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen) zum „Thema Zeitenwende in der europäischen Energie- und Klimaschutzpolitik“. Die Diskutanten warfen die Frage auf, ob die Zeitenwende nicht auch ein Umdenken in der europäischen Wirtschaftspolitik notwendig mache, weg von der Regulierung und hin zur Produktförderung. Auch die Implikationen für das energiepolitische Zieldreieck durch die Zeitenwende wurden diskutiert und darüber, ob der Vorrang für den Klimaschutz, der vor dem russischen Angriffskrieg das Zieldreieck aufzulösen drohte, nun gegenüber der Versorgungssicherheit und der Bezahlbarkeit hintangestellt werden sollte.

Darauf folgten zwei parallele Themensessions. Die Netzbetreiber, vertreten durch Laura Witzenhausen (Referentin für Systemführung/Netze, Amprion GmbH), Tetiana Chuvilina-Büschgens (Leiterin Politik und Konzernrepräsentanz Berlin, TenneT TSO GmbH) und Rainer Kleedörfer (Bereichsleiter Unternehmensentwicklung / Beteiligungen und Prokurist der N-ERGIE Aktiengesellschaft) richteten hinsichtlich ihrer Systemverantwortung einen Blick auf das vergangene Krisenjahr und evaluierten, welche Lessons learned in den nächsten Netzentwicklungsplan und das Stromnetz der Zukunft implementiert werden müssen. Klaus Müller (Präsident der Bundesnetzagentur) unterstrich angesichts der Preisspitzen die Bedeutung eines zügigen Ausbaus der Stromnetze sowohl auf Übertragungs- als auch auf Verteilnetzebene.

Währenddessen beschäftigten sich Referenten und Teilnehmer nebenan mit der Zukunft des Güter- und Warenverkehrs in Deutschland. Johannes Daum (Bereichsleiter Wasserstoff, alternative Kraftstoffe und Brennstoffzelle, NOW GmbH) stellte eingangs die Vorstellungen der Bundesregierung zur Gestaltung des zukünftigen Güter- und Warenverkehrs durch die Bundesregierung und die unterschiedlichen Maßnahmenpakete zur Umsetzung vor. Dr. Stefan Manke (Leiter Geschäftsentwicklung, DB Energie) zeichnete den Pfad der Deutschen Bahn zur Klimaneutralität vor, deren Rückgrat die grüne Bahnstrominfrastruktur mit vielfältigen Einspeisemöglichkeiten bildet. Er stellte den Zuhörern außerdem H2goesRail vor, ein Projekt zur Entwicklung eines grünen Wasserstoff-Gesamtsystems für die Schiene. Andreas Mündel (Senior Vice President Innovation & Strategy, Deutsche Post DHL Group) führte Wege und Möglichkeiten für eine klimafreundliche Logistik vor, während Ralf Diemer (Geschäftsführer, eFuel Alliance) das Potenzial von eFuels zur Dekarbonisierung des Straßengüterverkehrs unterstrich. Sönke Kleymann (Managing Director, euroShell Deutschland GmbH & Co KG) hingegen betonte, dass die Defossilierung des Schwerlastverkehrs nur durch ein Zusammenspiel von Wasserstoff, (Bio)LNG, Strom und alternativen Kraftstoffe in Abhängigkeit von deren Verfügbarkeit und Wettbewerbsfähigkeit gelingen werde. 

Den letzten Schwerpunkt bildete das Thema  „Rohstoffe“. Prof. Dr. Christoph Hilger (Institutsleiter Strukturgeologie und Tektonik, Institut für Angewandte Geowissenschaften, Karlsruher Institut für Technologie KIT) eruierte die Optionen der Politik angesichts der geopolitischen Lage. Es folgten Beispiele für die Abhängigkeit der Industrie von Rohstoffen. Michael Püschner (Leiter Fachgebiet Umwelt und Nachhaltigkeit, VDA-Verband der Automobilindustrie e.V.), Alexandra Decker (Vorstand Corporate Affairs, CEMEX Deutschland AG) und Dr. Oliver Hoch (Regulatory Expert PtX/Wasserstoff – TRA, Rolls-Royce Power Systems AG) pitchten jeweils Vorschläge, wie die Politik die Rohstoffeinfuhr resilienter gestalten sollte und diskutierten anschließend mit Anne Lauenroth (Senior Manager im Bereich Rohstoffe, Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.). Die verschiedenen Ansätze, so etwa strategische Rohstoffpartnerschaften, die Diversifizierung der Lieferketten, die Schließung der Materialkreisläufe und die Etablierung einer europäischen Agentur für strategische Rohstoffprojekte, wurden anschließend in einer Podiumsdiskussion von Dr. Volker Steinbach (Vizepräsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe und Abteilungsleiter Rohstoffe), Hannah Pilgrim (Koordinatorin des „Arbeitskreises Rohstoffe“, PowerShift e.V.) und Dr. Hans-Peter Friedrich, MdB (CDU/CSU) kritisch ausgeleuchtet und bewertet.

In einer abschließenden Podiumsdiskussion wurden die Arbeitsergebnisse der Themenblöcke zusammengetragen und mit Bengt Bergt, MdB (SPD), Lisa Badum, MdB (Bündnis 90/Die Grünen), Konrad Stockmeier, MdB (FDP) und Oliver Grundmann, MdB (CDU/CSU) diskutiert.

Wir bedanken uns bei allen Vortragenden, Teilnehmern und Partnern dieser Veranstaltung und freuen uns schon heute auf die Fortsetzung am 5. und 6. März des kommenden Jahres. Bitte notieren Sie sich diesen Termin in Ihrem Kalender!

 

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Dieses Projekt wurde kofinanziert durch den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung.

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