Interview mit Joachim Rumstadt (Vorsitzender der Geschäftsführung, STEAG GmbH)
28. Januar 2021
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Dr. Annette Nietfeld: Herr Rumstadt, wer sollte, Ihrer Ansicht nach hauptsächlich über den tatsächlichen Energiefluss im Netz entscheiden?
Joachim Rumstadt: Klare Antwort: Die Kunden müssen entscheiden. Ein Industriekunde schaltet bei Bedarf seine Produktionsanlage an, ein privater Endverbraucher nach dem Duschen einen Föhn. Das Kundenverhalten ändert sich doch nicht dadurch, dass es neue, größere Stromverbraucher gibt, die eher Dauerverbraucher sind. Nur das Profil der Nachfrage gestaltet sich neu. Hinzu kommt die Möglichkeit, Prosumer zu sein, also mit eigenen Anlagen ebenfalls Strom zu produzieren, auch privat eine make or buy-Entscheidung zu treffen – oder auf Verbrauch zu verzichten.
Dr. Annette Nietfeld: Wieviel Autonomie kann denn bei der Energie sinnvoll sein?
Joachim Rumstadt: Ich versuche es mit einer Gegenfrage: Glauben Sie, dass sich Kunden, die Sitzeinstellungen in ihrem Auto personalisieren, während parallel die Individualisierung im Internet über Algorithmen immer zielgruppengerechter wird und inzwischen über das „Internet of Things“ bis in die analoge Lebenswelt hineinwirkt, ausgerechnet in ihre Energieverbrauchsentscheidung reinreden lassen wollen? Ich bin mit Blick auf die Kundenseite optimistisch. Ich bin überzeugt, dass das individuelle Verbrauchsverhalten und die technischen Möglichkeiten immer vielgestaltiger werden. Und Strom wird dabei eine größere Rolle spielen, auch weil Strom bei der Dekarbonisierung eine besonders praktische Rolle übernehmen kann. Also: Strom ist so gesehen in mehrfacher Hinsicht interdependent. Und es fehlen vielleicht preisliche oder technische Signale. Aber ohne Autonomie bei der Entscheidung über den Verbrauch werden Kunden ihre bewährte Rolle in der Marktwirtschaft nicht wahrnehmen können.
Dr. Annette Nietfeld: Aber die technischen Kapazitäten reichen nicht immer aus, auch vor Ort. Es ist doch gar nicht gesagt, dass Strom zur Verfügung steht.
Joachim Rumstadt: Dass es Knappheiten gibt, ist normal. Wir beide können auch keine Bananen essen, wenn sie heute im Moment nirgendwo zu kaufen gibt. Dennoch würde niemand auf die Idee kommen, eine zentrale Stelle zu fordern, die den Menschen Bananen zuteilt. Zur Erinnerung: Im Ostblock gab es oft keine Ventile an den Heizungen in den Wohnungen, da buchstäblich zentral geheizt wurde. Es war oft zu warm und oft zu kalt. Ein Energiemarkt hat aber genau die Aufgabe, Angebot und Nachfrage auszugleichen. Und dann isst derjenige Bananen, der sie bezahlen möchte, und die Wärme in der Wohnung können wir auch individuell regeln. Der Ausgleich von Angebot und Nachfrage im Stromnetz muss hergestellt werden. Nach Strom und Leistung.
Dr. Annette Nietfeld: Kann der Energiemarkt das dezentral wirklich lösen?
Joachim Rumstadt: Ich sehe keine alternative Lösung, die eine solche riesige, komplexe Allokationsaufgabe lösen könnte, gerade bei einer so großen und voraussichtlich weiter wachsenden Zahl an fluktuierenden Einspeisern. Ein Fünfjahresplan kann die untertägige Steuerung nicht gewährleisten, nicht bei 1,7 Millionen Solaranalgen. Mehr Plan kann vielleicht helfen, ausreichende zentrale Absicherungskapazitäten vorzuhalten. Klar ist aber auch, ein Markt braucht Regeln, innerhalb derer er aus sich selbst heraus Lösungen finden kann. Nicht nur großtechnische, sondern auch digitale. Und der Preis muss eine Rolle spielen.
In einer Umgebung, in der regulierte Netzbetreiber zunehmend Versorgungsaufgaben übernehmen wollen und die Einspeisung von Strom immer weniger verbrauchsorientiert erfolgt, sondern vor allem wetterabhängig ist und nach der Einspeisung bezahlt wird, ist das natürlich schwieriger. Märkte finden aber erfahrungsgemäß bessere Lösungen – vorausgesetzt, dass die Regeln nicht dauernd geändert werden. Um zu den Bananen zurückzukommen: Bei einer Zuteilungswirtschaft würde sich sofort ein Bananenschwarzmarkt etablieren, den niemand wollen kann. Aber es will nun einmal nicht jeder Bananen essen – oder zu bestimmten Zeiten womöglich sogar essen müssen, ob er will oder nicht.
Dr. Annette Nietfeld: Was stört Sie an der aktuellen Situation in der Energiewendedebatte?
Joachim Rumstadt: Die Debatte wird unverändert stark aus der Netzperspektive geführt, ohne dass mit den Restriktionen klug umgegangen wird. Das ist doch merkwürdig. Und dann wird am Bedarf vorbei geplant und Pläne werden nicht erreicht. Es hat aber kaum Konsequenzen. Und niemand wundert sich.
Selbst bei der Bahn, wo das Streckennetz fast nur einem Unternehmen gehört, wird nicht so viel darüber gesprochen. Oder haben Sie schon einmal gehört, dass mehr Zug gefahren wird, nur weil es mehr Schienen gibt? Nein, es geht um Kosten, geeignete Anschlüsse, Zuverlässigkeit, komfortable Abteile und so weiter. Beim Strom ist das ähnlich. Nur gibt es hier schon viel mehr Akteure am Markt, sodass eine Differenzierung von Dienstleistungen leichter ist.
Der Netzfokus verstellt den Blick auf klügere, auch digitale Lösungen. Derzeit aber scheint stumpf Trumpf zu sein.
Dr. Annette Nietfeld: Haben Sie ein aktuelles Beispiel für diesen Netzfokus?
Joachim Rumstadt: Nehmen Sie den kürzlich wieder zurückgezogenen Gesetzentwurf zur zügigen und sicheren Integration steuerbarer Verbrauchseinrichtungen, der erst Ende Dezember 2020 vorgelegt worden war. Dieser Entwurf sollte dazu dienen, in geeigneter Weise auf die Herausforderungen von vielen zusätzlichen Elektromobilen und Wärmepumpen zu reagieren. Im Kern ging es aber vor allem um das Recht von Verteilnetzbetreibern, den Ladevorgang bis zu zwei Stunden täglich unterbrechen zu dürfen. Das wären nachts dann womöglich durchgängig vier Stunden gewesen. Das einzige, was daran hätte intelligent sein müssen, ist der technische Zugriff auf den Haushalt. Netzbetreiber hätten sich also zu Lasten von Kunden optimiert, denen aber wiederum eingeredet würde, dass sie technisch ganz vorne mit dabei sind mit ihrer Wärmepumpe. Unter diesen Bedingungen würde aber so mancher Verbraucher wohl gar keine Wärmepumpe haben wollen. Es ist doch unsinnig, einerseits den Netzanschluss zu beschleunigen, aber andererseits dann den Betrieb zu belasten. Politisch werden offenbar ungeeignete – und unvereinbare – Ziele gesetzt und dann wird gewissermaßen „Schwarzer Peter“ gespielt, anstelle – endlich – die Hausaufgaben für eine klügere, innovationsfördernde Rollenverteilung auf dem Strommarkt zu machen.
Insofern bestand die reale Gefahr, dass dieser Gesetzentwurf das fundamental wichtige Prinzip des Unbundlings erheblich beschädigt hätte. Das ist aber in meiner Einschätzung entscheidend für Innovationen, und insofern ist es gut, dass dieser Entwurf jetzt vom Tisch ist
Dr. Annette Nietfeld: Wenn es nun einen neuen Gesetzentwurf braucht: Was wäre besser zu machen?
Joachim Rumstadt: Auf jeden Fall bin ich mir sicher, dass es besser ginge. Es muss doch auch unser Anspruch sein, Märkte mit den physikalischen Restriktionen zusammenzubringen und geeignete Aufsatzpunkte auch für technisch kluge Lösungen zu finden – für Wärme und für Strom.
Energiemanagement ist ja möglich, es braucht nur geeignete Grundlagen. Und wir als Unternehmen wollen dazu auch gerne beitragen – mit Speichern, digitalen Angeboten und flexiblen, dezentralen Anlagen und der Nutzung von Abwärme. Das dabei immer mitschwingende Ziel ist die Dekarbonisierung.
Damit wir als Unternehmen einen Beitrag dazu leisten können, braucht es beispielsweise für die von uns gemanagten Ladesäulen einen verlässlichen Netzanschluss und für uns die Chance, uns durch unsere energiewirtschaftliche Erfahrung und Leistungsangebote zu differenzieren. Schauen Sie etwa auf unsere Photovoltaik-Anlagen, die auf den Dächern von Industriebetrieben eingesetzt werden. Die können sehr gut einen Beitrag zum Eigenbedarf leisten. Eine Optimierung würde dann erfolgen, wenn die Kapazität des Netzanschlusses einen relevanten Preis hätte.
Wenn grüne Stromlieferverträge – also die vielzitierten „Green PPAs“ – als Lösung angesehen würden, wäre auch hier ein Hebel. Etwa mit Herkunftsnachweisen und einer zeitlichen Nachweisbarkeit für Kunden, sich nicht nur bilanziell, sondern auch real eins zu eins mit grünem Strom zu versorgen.
Dr. Annette Nietfeld: Welchen Blick haben Sie auf die Zukunft?
Joachim Rumstadt: Ich denke, jedes Energieunternehmen arbeitet auf die eine oder andere Weise auf den drei großen Leitthemen, die die Energiemärkte nicht erst seit gestern umtreiben: Digitalisierung, Dezentralisierung und – last not least – Dekarbonisierung.
Relevant ist dabei das Verschwimmen von vormals zementierten Sektorengrenzen. Neben erneuerbaren Energien inklusive künftig hinzukommendem grünen Wasserstoff haben wir einen starken Fokus auf das Dienstleistungsgeschäft. So bieten wir Ideen und technische Lösungen für Industriekunden und im Speicherbereich an. Unsere Kompetenz bei dezentralen Anlagen hilft uns hier sehr, Strom und Wärme für Kunden zu optimieren. Die Zukunft bleibt insofern spannend und herausfordernd. Mit mehr Sinn für die Realität kann unser Land dann sicher vorne dabei bleiben.