Interview mit Prof. Christian Küchen und Adrian Willig (en2x)
Interview mit Prof. Christian Küchen und Adrian Willig, Hauptgeschäftsführer von en2x – Wirtschaftsverband Fuels und Energie e. V.
Mineralölwirtschaft setzt auf Transformation
Dr. Annette Nietfeld: Herr Professor Küchen, Herr Willig, aus dem Mineralölwirtschaftsverband (MWV) und Institut für Wärme und Mobilität (IWO) wurde Ende vergangenen Jahres der neue Verband en2x. Weshalb erfolgte diese Neuaufstellung und was verbirgt sich hinter dem Namen?
Prof. Christian Küchen: Mit dem Zusammenschluss unterstreicht die deutsche Mineralölwirtschaft ihre Rolle in der Energiewende auch auf Verbandsebene. Unsere Branche will einen substanziellen Beitrag zu den ambitionierten Klimazielen der Bundesregierung leisten. Dafür ist ein umfassender Transformationsprozess notwendig. Mit dem neuen Verband en2x unterstützen wir unsere Mitgliedsunternehmen bei diesem Wandel. Unsere Branche will ihren Kunden künftig zunehmend neue Produkte anbieten und kann so Schlüsselbeiträge zum Erreichen der Klimaziele leisten. Das betrifft die Stromversorgung, den Flug- und Schiffsverkehr, Industrie und Chemie, Wärme und natürlich auch den Straßenverkehr.
Adrian Willig: Der Name en2x steht für diese notwendige Transformation von derzeit noch weitgehend fossilen hin zu CO2-neutralen Energieprodukten. Er steht zudem für die Energievielfalt, die wir benötigen werden, um die CO2-Emissionen schrittweise in Richtung netto null zu bringen. Ausgesprochen wird der Name „n-to-x“. Er ist abgeleitet von „energy to x“ – wobei das „x“ die Vielzahl an Energieträgern, Herstellungsoptionen und Einsatzmöglichkeiten symbolisiert.
Dr. Annette Nietfeld: Ist die Zeit der Mineralölwirtschaft nicht einfach vorbei?
Prof. Christian Küchen: Unsere Branche steht fraglos unter Druck. Teile der politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit sehen uns als Problem und nicht als ein Teil der Lösung. Sie würden uns daher am liebsten einfach abschaffen. Dabei wird verkannt, welch wichtige Rolle die Mineralölwirtschaft derzeit für die Energieversorgung als Energie- und Rohstofflieferant spielt und als neue Energiewirtschaft für das Erreichen der Klimaziele zukünftig zu spielen vermag. Die heutige Mineralölwirtschaft kann entscheidende Beiträge für ein klimaneutrales Deutschland leisten.
Dr. Annette Nietfeld: Wie sehen diese Beiträge aus?
Adrian Willig: Um einige Beispiele zu nennen: Raffinerien gehören heute zu den größten Wasserstoffproduzenten und -konsumenten überhaupt. Sie sind daher natürliche Standorte für die Erzeugung CO2-neutralen Wasserstoffs. Im Wasserstoffbereich engagieren sich unsere Mitgliedsunternehmen schon stark und sind an zahlreichen zukunftsweisenden Projekten beteiligt. Dazu gehören etwa die aktuell weltweit größte PEM-Wasserstoff-Elektrolyse in Köln/Wesseling, das Projekt Westküste 100 an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste sowie mit GetH2 ein länderübergreifender Wasserstoff-Markt mit den Niederlanden und weitere spannende Vorhaben an vielen Standorten.
Prof. Christian Küchen: Tankstellen werden künftig, ausgestattet mit Schnellladesäulen und Strom aus erneuerbaren Energien, zu Mobilitäts-„Hubs“ der Zukunft. Parallel dazu schreitet der Aufbau eines Wasserstoff-Tankstellennetzes insbesondere für den Schwerlastverkehr voran.
Adrian Willig: Darüber hinaus wird es weitere alternative beziehungsweise fortschrittliche Fuels geben, um etwa die klimaschädlichen Emissionen im Flug-, Schiffs- und Schwerlastverkehr und insgesamt auch im Fahrzeugbestand zu reduzieren. Ebenso arbeitet die Branche an dekarbonisierten Produkten für die chemische Industrie. Der notwendige Transformationsprozess ist also bereits eingeleitet. Und so ist klar: Am Ende des Prozesses wird die Mineralölwirtschaft keine Mineralölwirtschaft mehr sein.
Dr. Annette Nietfeld: Kritiker könnten einwenden, dass das im Hinblick auf den Klimawandel alles zu langsam erfolgt. Was würden sie darauf antworten?
Prof. Christian Küchen: Der begonnene Transformationsprozess ist, wie die Energiewende insgesamt, eine Mammutaufgabe, die sich nicht von heute auf morgen umsetzen lässt. So beträgt der Anteil von Mineralöl an der gesamten deutschen Energieversorgung aktuell rund ein Drittel. Einschließlich der Kundenemissionen entspricht dies in etwa auch dem Anteil des nationalen CO2-Fußabdrucks der Branche an den gesamten Kohlenstoffdioxid-Emissionen. Diesen Fußabdruck gilt es bis 2045 auf netto Null zu bringen. Dafür brauchen wir vielfältige Lösungen: erneuerbaren Strom ebenso wie CO2-neutralen Wasserstoff und alternative Fuels. Der Ausbau der entsprechenden Erzeugungskapazitäten und Infrastrukturen muss rasch vorankommen, benötigt jedoch Zeit. Ebenso der Wandel in der Anwendungstechnik.
Adrian Willig: Nehmen wir den Pkw-Verkehr als Beispiel: Elektromobilität ist hier der präferierte Weg für eine treibhausgasarme Mobilität. Die Bundesregierung peilt für das Jahr 2030 mindestens 15 Millionen Elektro-Pkw an. Das ist ambitioniert – und trotzdem werden dann voraussichtlich noch rund doppelt so viele Autos mit konventionellem Antrieb unterwegs sein.
Dr. Annette Nietfeld: Deshalb setzen Sie auch auf alternative Kraftstoffe?
Adrian Willig: Ja – wir brauchen sie als Klimaschutzoption für den Fahrzeugbestand mit Verbrennungsmotor. Auch im Gebäudebereich könnten sie einen spürbaren Beitrag zum Klimaschutz leisten. Bundesweit gibt es mehr als fünf Millionen Gebäude mit Ölheizung. Keineswegs alle lassen sich sofort vollständig auf andere, erneuerbare Energieträger umstellen. Wird dort jedoch durch Effizienzsteigerungen und Hybridsysteme der Brennstoffbedarf gesenkt, kann der verbliebene Bedarf auch durch alternative Fuels gedeckt werden. Doch nicht nur das: Im Flugverkehr oder in der Schifffahrt sind alternative Fuels unverzichtbar und auch im Schwerlastverkehr werden sie eine wichtige Rolle spielen, etwa in Form von Lkws, die CO2-neutralen Wasserstoff nutzen. Hinzu kommt: Derzeit führen wir rund 70 Prozent unserer Energie aus anderen Ländern ein. Auch mit einem massiven Ausbau von Wind- und Solaranlagen wird Deutschland nicht energieautark werden. Von einem globalen Markt für grüne Moleküle – ob Wasserstoff, synthetische Kraft- oder Rohstoffe – können alle Seiten, das Industrieland Deutschland und die Lieferländer, gleichermaßen profitieren. Es geht nicht um ein Entweder-oder. Wir brauchen beides: grünen Strom und grüne Moleküle.
Dr. Annette Nietfeld: Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund den Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung?
Prof. Christian Küchen: Der Koalitionsvertrag klingt durchaus vielversprechend. Aspekte wie Kosteneffizienz, Technologieoffenheit und der CO2-Preis sollen eine wichtige Rolle spielen. Das ist grundsätzlich gut. Wichtig wird jetzt sein, dass diese Aspekte auch bei konkreten Regulierungsvorhaben ausreichend berücksichtigt werden. So gehört eine Unterstützung der Reform der Energiesteuer, wie sie die EU-Kommission vorgeschlagen hat, zu den Aufgaben der neuen Regierung. Positiv bewerten wir zudem das Update der nationalen Wasserstoffstrategie und das Ziel, Deutschland bis 2030 als Leitmarkt für Wasserstoff zu positionieren. Wir begrüßen auch die Förderung strombasierter Kraftstoffe, insbesondere für den Luftverkehr. Andere erforderliche Optionen kommen dagegen zu kurz. Gerade bei alternativen Kraftstoffen bleibt der Vertrag der Ampelkoalition unscharf. Biokraftstoffe werden darin überhaupt nicht erwähnt. Zu synthetischen Kraftstoffen gibt es nur eine etwas unklare Formulierung, der zufolge „außerhalb des bestehenden Systems der Flottengrenzwerte nur mit E-Fuels betankbare Fahrzeuge neu zugelassen werden sollen“. Damit auch in diesen Bereichen die erforderlichen Investitionen erfolgen können, sind jetzt die richtigen Weichenstellungen wichtig.